Der orangene Kanal

Szerző: Stephan Ozsváth
2018.04.02. 07:26

Die virtuelle Realität des DDR-Fernsehens damals ist verwandt mit dem „orangenen Kanal“ des Fidesz heute. „Die Partei, die Partei, die hat immer recht“, hieß damals wie heute der Schlager.

Der orangene Kanal

Wir – und unsere LeserInnen – würden gerne wissen, was deutsche Influencer über die ungarische Parlamentswahl denken. Was für eine ungarische Regierung würde im Interesse Deutschlands stehen? Und im Interesse der EU? Welche ist die schlimmste Möglichkeit? Wie ist das Ansehen Viktor Orbáns? Tut dem Image Ungarns diese Regierung, dieser Ministerpräsident gut? Ist es überhaupt wichtig, über das Image eines Landes zu reden, statt über dessen Interessen?

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Seine Brillengläser waren dick wie die Deckel von Einmachgläsern, streng schaute der Chefpropagandist der DDR aus kleinen Äuglein in die Wohnzimmer. Schütteres Bärtchen, Mundwinkel nach unten. Fast drei Jahrzehnte lang, mehr als 1500 Sendungen lang erklärte Karl-Eduard von Schnitzler im „Schwarzen Kanal“ den Ostdeutschen die Welt „da drüben“ im Westen.

Eine düstere Welt voller Lügen, Chaos und Krisen – im Vergleich zur lichtdurchfluteten DDR.

Auch Viktor Orbán erklärt uns seit Jahren, wie die Welt „da drüben“ so ist, im liberalen Westen. Im „Freitagsgebet“ von Kossuth-Rádió und auf den anderen Bühnen, die er bespielt - und hinter ihm flattert die grün-weiß-rote Trikolore. Piros, fehér, zöld. Ez a magyar föld. „Hungary först“. Die nationale Standardsauce über jedes Gericht.

Die Sündenbockfabrik in Budapest produziert dabei ständig neue Feindbilder: IWF, die homegrown-Linke, die Liberalen, Brüssel („das neue Moskau“), Soros (der Super-Joker: Jude, liberal, Ungar, Kapitalist), neuerdings die UNO – wer ist als nächster dran? Hauptsache Dauerwahlkampfmodus, Hauptsache Erregungskurve hochhalten. „Hungary först“ heisst die dünne Suppe aus Budapest. Die Sättigungsbeilage, die darin schwimmt, heißt: Noch ein paar Jahre mit Viktor.

So wie die deutsche Boulevard-Zeitung „Bild“ ihre Leser-Reporter hat, lässt Viktor Orbán neuerdings seine Politiker-„Reporter“ ausschwärmen. Die schickt er wie einst Attila seine Reiter in den Westen, nicht mit Pfeil und Bogen, sondern mit Handy und Kamera. Und so streift Europaparlamentarier Tamás Deutsch durch den unwirtlichen Dschungel Molenbeek und erklärt den Brüsseler Zuwanderer-Bezirk kurzerhand zur „Hauptstadt der Dschihadisten“.

Kanzleramtsminister János Lázar erklärt im Selfie-Style in einer blitzsauberen Straße im 10. Bezirk Favoriten, wie Zuwanderer Wien angeblich herunter rocken (Ton-Bild-Schere). Schon zum neunten Mal ist Österreichs Hauptstadt zur „lebenswertesten Stadt der Welt“ gekürt worden. „Niemand sollte beleidigt werden“ (Lázár) klingt da fast wie „niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“ (Ulbricht). 

Die Propaganda-Selfies sollen vor allem eins: Dem ungarischen Publikum erklären, dass Städte mit vielen Einwanderern nichts weniger als die Vorhölle sind, dass Sozialdemokraten, Grüne und Liberale (ballibsi) daran schuld sind, und dass es zu Hause am schönsten ist: In Viktors Armen. Willkommen im orangenen Kanal. Das Handwerk – so scheint es – haben Orbáns Spindoktoren bei „Sudel-Ede“ abgekupfert, so der Spitzname des früheren DDR-Chefpropagandisten. Zugfahrten in den Westen nannte von Schnitzler Reisen „vom Fortschritt in den Rückschritt“. Schnipsel aus ARD und ZDF schnitt er so zusammen, dass sie ein Negativbild der „BRD“ zeichneten. Nur so konnte der „Friedensstaat“ DDR im Vergleich hell erstrahlen.

Die virtuelle Realität des DDR-Fernsehens damals ist verwandt mit dem „orangenen Kanal“ des Fidesz heute.

Man wähnt sich umzingelt von Feinden. „Die Partei, die Partei, die hat immer recht“, hieß damals wie heute der Schlager. Man gibt sich moralisch überlegen. Ist Anhänger der richtigen Religion. Und das sagt man auch (Big Balls). Und die anderen sind Dissidenten oder Goliaths, gegen die sich der David Ungarn behaupten muss – im ewigen Freiheitskampf. „Wer nicht hören will, muss fühlen“, drohte von Schnitzler einst. Seine Kopisten in Budapest schlagen regelmäßig Wort-„Schlachten“ und raunen von Abrechnungen.  Mit denen da draußen, hinter dem Zaun. Und mit denen innerhalb der Mauern. Und wer das nicht glauben will, der wird zur „Ratte“ (Hassprediger Zsolt Bayer) gemacht. Und gegen die hilft ja bekanntermaßen nur Gift.

Fun-Fact: Verheiratet war der ostdeutsche Propaganda-Funker von Schnitzler zuletzt übrigens mit einer Ungarin, sie war seine vierte Frau. Sie wurde im Juni 1983 von einem Kaufhausdetektiv am Bahnhof Zoo in Berlin dabei erwischt, wie sie zwei Packungen Damenstrümpfe (Größe 39) im Wert von 16,40 DM einsteckte, ohne zu bezahlen.

„Es gibt ein paar Ställe und einen besonders großen Stall namens EU“, zwinkerte der Pole Kaczynski vor zwei Jahren in den Beskiden seinem Gast Viktor Orbán zu, „wo wir mit den Ungarn zusammen Pferde stehlen können.“ Es sieht ganz so aus, als ob Brüssel künftig besser auf die Pferde aufpassen will. „Schnitzler, lass das Lügen sein, kauf nicht mehr im Westen ein“, skandierten die Ostdeutschen 1989, bald darauf wurde der „Schwarze Kanal“ eingestellt, die DDR war Geschichte, die „Bild“-Zeitung spottete: jetzt kommentiere von Schnitzler nur noch für seine ungarische Ehefrau.

Was werden die Ungarn rufen, wenn sie Orbán ins Moskauer Exil schicken?

Nicht heute, vielleicht auch nicht morgen....

Stephan Ozsváth ist Journalist, Autor des Buches Puszta-Populismus

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